Das letzte Jahr war anders. Anders als erwartet, als erwünscht, als alles was wir bisher erlebt haben. Es war voller Umdenken und voller (neuer) Herausforderungen. Gerade – aber nicht nur – deshalb lohnt es sich einmal zurück zu schauen, auf alles was in diesem Jahr so passiert ist.
Das Jahr begann, wie die letzten 10 Theater-am-EvRG-Jahre auch, mit dem Probenlager. Zum wiederholten Male fuhren wir dafür ins Marcel-Callo-Haus nach Heilbad Heiligenstadt. Dort wurde an den Inszenierungen geprobt, aber auch in verschiedenen Projekten neues entwickelt. Eine Gruppe übte sich in Akrobatik, andere entwickelten ein Gesellschaftsspiel, bauten Puppen, erprobten sich in Performance Art oder dokumentierten das Probenlager. Daneben kümmerte man sich um geheime Freundschaften, schaute Filme, ging spazieren oder nutzte die Freizeit um sich zu entspannen. Gestärkt durch dieses Probenlager planten wir die Premieren, die kurz danach anstehen sollten.
Am 28.Februar hatte dann auch die erste Inszenierung Premiere. Die Schüler*innen der Klasse 5 präsentierten „Die weiße Schlange“. In einer Inszenierung von Carlotta Weide und Marlen Degner mit starken Choreografien und viel Papier wurde dieses eher unbekannte Märchen der Gebrüder Grimm erzählt. Natürlich war die erste Premiere mit besonders viel Aufregung für die jungen Darsteller*innen verbunden. Aber den Spielleiterinnen war es in der Zeit seit dem Schuljahresbeginn gelungen ein Ensemble zu formen, dass sich vertraute, aufeinander verlassen konnte und sich auch gegenseitig rettete, wenn z.B. der Fisch nicht ordentlich landen wollte.
Nur eine Woche später feierte dann auch Klasse 6 unter der Leitung von Charlotte Heidemann Premiere. Im Vorjahr hatte Josephine Hock , Theater-am-EvRG-Ehemalige und mittlerweile Puppenspielerin ein Spielleiter*innen-Wochenende zum Thema „Puppen- und Objekt-Theater“ geleitet. Davon inspiriert entschied sich Charlotte „Ronja Räubertochter“ als Puppenstück zu inszenieren. Die Puppen dafür waren unter der Anleitung von Pit Nötzold im Probenlager entstanden. Mit einer Leiter, zwei Gießkannen und Licht entstanden in der U12 Wälder, Höhlen, Burgen und Wasserfälle.
An diesen Orten animierten die Spieler*innen nun die Figuren vom kleinen Rumpelwicht bis zur großen Waldtrude. Sie erlebten den Sommer im Wald und wurden nass unterm Wasserfall.
Nach den ersten beiden Premieren waren wir voller freudiger Erwartung auf die beiden, welche in diesem Schuljahr noch aus standen. Doch kurz bevor wir in die Endprobenwoche für Wilhelm Tell starten konnten, wurden die Schulen (und vieles andere) geschlossen. Auch wenn wir anfangs nicht absehen konnten, wie lange sich diese Situation hinzieht (und wir uns naiv massiv verschätzten), war schnell klar, dass wir in irgendeiner Form weiter proben und aktiv sein wollen.
Wir verlagerten die Proben ins Netz. Das bedeute für uns viel ausprobieren. Leseproben sind online eine ziemliche Zumutung, dafür funktionieren Aufgaben in Kleingruppen recht gut. Und zum ersten Mal mussten wir bewusst schauen, wie sich unsere theaterpädagogische Arbeit von dem, was die Schule online macht, abgrenzt. Als sehr wichtig haben sich dafür Rituale herausgestellt. In den normalen Proben gab es diese mit der Erwärmung schon immer, nun mussten wir neue entwickeln. Nun beginnt jede Online-Probe mit einer Frage, z.B. „Welche Ausnahme hast du dir in der letzten Woche gestattet?“, „Was hast du neues gelernt?“ oder „Wie sieht deine letzte Woche als Meme aus?“.
Und wir nutzten (und nutzen aktuell wieder) die Potentiale, die in der besonderen Probensituation liegen. Durch die Kameras erhalten wir Einblicke in die Privaträume der Darsteller*innen. Welche Geschichten erzählen diese Räume und die Objekte in ihnen? Oder welche Geschichten lassen sich gut in diesen Räumen erzählen?
Und wir gingen nach draußen. Spieler*innen führten sich gegenseitig per Telefon durch die Stadt, versteckten sich Hinweise und entwickelten künstlerische Schnitzeljagden.
Außerdem fand im Frühjahr eine Online-Spielleiter*innen-Weiterbildung zum Thema Recherchetheater unter Anleitung von Stephan Mahn statt.
Aus den verschiedenen Online-Versuchen entstanden kurz vor den Sommerferien zwei Miniatur-Premieren. Die Performer*innen aus den Klassen 11/12 führten in „Vertraust du mir?“ (Regie: Denise Zilsdorf & Vincent Kresse) einzelne Zuschauer*innen über ein Handy durch den Lutherpark. Dabei entstand angepasst an die Wünsche des*der jeweiligen Zuschauer*in ein individuelles Theatererlebnis. Zum Beispiel hörten sie an einer Stelle des Rundgangs ein Lieblingslied, welches vorher am Telefon erfragt wurde.
Und in „Projekt:Heimat“ (Regie: Charlotte Heidemann, Carlotta Weide, Marlen Degner) präsentierten Spieler*innen aus den Klassenstufen 5/6 in verschiedenen Stationen, was für sie Heimat bedeutet. Dabei wurden Texte und Videos aus den Online-Proben genutzt.
In den Sommerferien ging es für 10 Spieler*innen von 9 bis 18 in den Lutherpark. Unter Anleitung von Pit Nötzold, Werner Brunngräber, Vincent Kresse, Georg Junge, Luise Edom und Ursula Schiebel setzten sie sich mit den Motiven aus dem Cyrano de Bergarac auseinander. Dazu schrieben sie Texte, bastelten Masken, lernten Grundlagen der deutschen Gebärdensprache, schufen Objekttheater-Installationen, performten, tanzten und spielten. Aus den verschiedenen Versuchen entstand in 11 Tagen ein Stationen-Theater-Abend. Die Premiere musste zwar aufgrund eines Sturmes verschoben werden, konnte dann aber trotzdem erfolgreich stattfinden.
Für die Zeit des Sommercamps galten wir als ein Haushalt. So entstand eine positive Ausnahmesituation in der Ausnahmesituation, in der man miteinander proben, kochen, spielen, leben konnte, ohne an die Pandemie zu denken.
Im nächsten Jahr ist wieder ein Sommerkunstcamp geplant. Informationen und Anmeldung finden sich hier.
Nach den Sommerferien konnten wir endlich die beiden ausstehenden Premieren nachholen. Zwar musste an vielen Stellen umgedacht werden, Aufführungen und Proben in der U12 waren nicht mehr möglich, Publikum und Darstellende mussten und müssen auf Abstände achten und wenn wir drinnen spielen, muss nach 45 Minuten gelüftet werden. Aber diese Herausforderungen brachten auch neue Möglichkeiten und Denkansätze und auf jeden Fall mehr Beinfreiheit für unser Publikum mit sich.
Den Anfang machten im September die Spieler*innen aus Klasse 8. Der Freiheitskampf von „Wilhelm Tell“ (Regie: Hannah Bloos) wurde kurzerhand auf den Schulhof verlegt. Damit die Abstände eingehalten werden konnten, wurden mit Sprühkreide Markierungen gemacht. Voller Energie bewegten sich die Darstellenden zwischen diesen hin und her, rannten die Treppen hoch und wieder runter und fuhren (in Ermangelung eines Boots) Fahrstuhl. Neben den Schiller-Texten erzählten die Jugendlichen auch von ihren eigenen Gedanken und Erfahrungen zum Thema Freiheit.
Vor der nächsten Premiere gab es erst einmal die nächste Katastrophe. Am einzigen probenfreien Tag in der Endprobenwoche zu „wtf?“ gab es plötzlich die Nachricht von einem Wasserschaden in der U12. Schnell wurden alle technischen Geräte hinaus geschafft, teilweise in Reis getrocknet oder direkt zur Reparatur gebracht. Mittlerweile sind die meisten Dinge repariert, aber wir wissen – auch unabhänig von der Pandemie – nicht, wann wir wieder in der U12 proben können.
In „wtf?“ unter der Anleitung von Denise Zilsdorf und Vincent Kresse ging es um Sex, Gender, Beziehungen, Pornos, Liebe, Dates und so weiter. Aus anonymen Texten der Darstellenden aus Klasse 11/12, Spieleformaten und Choreografien entstand, ergänzt durch theoretische Texte bspw. vom Bundesgerichtshof oder Charles Kinsey ein Theaterabend, bei dem Publikum, Spieler*innen und Darstellende jedes Mal etwas lernten und der ein anderes Sprechen über die genannten Themen ermöglichte.
Auch im aktuellen Schuljahr konnten sich die Spielleiter*innen wieder neue Theaterformen aneignen. Selina Glockner und René Reith von system rhizoma beschäftigten sich ein Wochenende lang mit uns und Choreografie- und Tanztechniken. Danach hatten wir alle Muskelkater und viele neue Ideen.
Die Premiere von „Wir wollen alle Erwartungen erfüllen und werden daran scheitern“ war auch in der Aula geplant. Je näher diese rückte, umso klarer wurde es, dass sie so nicht stattfinden kann. Innerhalb von kürzester Zeit konzipierten Arwen Burgau und Johanna Edom um und entwickelten eine Online-Variante für diese Inszenierung. Sie gaben den Spieler*innen der Klasse 9 Scheinwerfer und Konfettikanonen mit nach Hause und sorgten dafür, dass diese am 06. November die erste Online-Premiere des Theaters am EvRG feiern konnte. In verschiedenen Spielen mussten die jungen Perfomer*innen beweisen, dass sie die Klügsten, Stärksten, Ausdauernsten oder Schönsten sind. Und sie durften daran scheitern. Das Publikum hatte die Möglichkeit mit Live-Abstimmungen oder vorgelesenen Kommentaren die Aufführung direkt beieinflussen.
Aktuell finden alle Proben wieder online statt und es sind für den Anfang des nächsten Jahres auch schon kleine Online-Präsentationen geplant (Informationen dazu gibt es dann auf unserer Website oder im Newsletter). Trotz aller Widrigkeiten war 2020 ein Jahr mit vielen künstlerisch und (theater)pädagogisch erfolgreichen Produktionen. Wir danken allen, die dieses Jahr mit uns gestaltet haben.
Wir danken für die Förderung des Sommerlagers der Stadverwaltung Erfurt und den Stadtwerken Erfurt. Unsere Neuanschaffungen für pandemie-sichere Vorstellungen wurden aus dem Neustartprogramm der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien über den Bundesverband Soziokultur gefördert. Die theaterpädagogische Begleitung und die Spielleiter*innen-Wochenenden werden dankenswerter Weise, durch die Evang. Waisenhausstiftung Erfurt unterstützt. Das Spielleitungswochenende Tanz wurde durch die LAG Spiel+Theater Thüringen gefördert.
Wir danken dem Kollegium des Evang. Ratsgymnasiums und der neuen Schulleitung für Unterstützung und Zusammenarbeit, allen externen Unterstützer*innen für Workshops, Fotos, Betreuung und Beratung, dem Schulförderverein.
Wir danken allen Mitgliedern und insbesondere dem Vorstand des Fördervereins Theater am EvRG.
Und wir danken Robert Ziesenis für unsere gesamte Grafik.
Und wir danken natürlich allen Spieler*innen und Spielleiter*innen.
Auf ein erfolgreiches Theaterjahr 2021.